Das große Finale meiner Skandinavien–Touren musste dieses Jahr leider verschoben werden. Für die letzte Etappe der norwegischen Küste von Bodø am Nordkapp vorbei nach Kirkenes fehlte der Mitpaddler. Basti hat sich den Bottnischen Meerbusen vorgenommen und Justin war leider durch eine langfristige Schulterverletzung blockiert. Also war ein Alternativprogramm angesagt, dem ich relativ skeptisch gegenüber war: Wandern.
Der Titel dieses Artikels könnte auch lauten: Seekajakfahrer auf Abwegen.
Fortbewegen mit den eigenen zwei Beinen und dem ganzen Gepäck auf dem Rücken, das kann noch nicht funktionieren, dachte ich mir. Doch da waren wir auch schon auf der Fähre nach Kristiansand.
In einer 2 Wochen langen Rundtour durch Südnorwegen wollten wir die besten Spots besuchen. Im Nachhinein hätten wir lieber weniger verschiedene Orte eingeplant, um die Autofahrzeiten gering zu halten. In Norwegen sieht es überall schön aus…
Von Kristiansand aus startete die Rundtour im Uhrzeigersinn. In Norwegen ist Wildcampen kein Problem. Wenn schon auf Inseln verzichtet werden musste, wollte ich wenigstens nicht auf Campingplätzen beobachtet werden. Also hielten wir Ausschau nach traumhaften Plätzen abseits der Straße.
Justin ist schon durch Teile von Alaska und Kanada gewandert und wusste worauf er sich einließ. Ich musste erstmal das passende Schuhwerk im nächsten Sportgeschäft kaufen. Den Rucksack lieh ich mir von einem Freund.
Fragt man einen Paddler, was das Besondere am Paddeln ist, hört man häufig: “Man kommt an Orte, wo man sonst nicht hinkommt.” Ich stellte schnell fest, dass man beim Wandern an Orte kommt, wo man als Paddler nicht hinkommt. Wer hätte das gedacht. Aber das mit dem ganzen Gepäck auf dem Rücken, daran musste ich mich noch gewöhnen.
Freiheit über dem Lysefjord
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Eine Smartphone App machte es möglich, den Sonnenverlauf vorherzusehen.
Spätestens hier war auch ich überzeugt, das Wandern nicht generell schlecht ist. Obwohl es mühsam war mit Übernachtungsgepäck die Höhenmeter zu erklimmen, entschieden wir uns dazu, weil wir die beliebten Touristenspots auch ohne Andrang und beim besten Licht erleben wollen.
Die Trolltunga musste leider auf Grund einer dicken Erkältung von mir ausfallen. Als Alternative gingen wir zu den “Vier fantastischen Wasserfällen” wie es auf Visit Norway hieß.
Am Abend checkte ich ständig das Satellitenbild, denn es war noch bewölkt und für den perfekten Sonnenuntergang musste der Himmel noch aufreißen. Im letzten Moment passierte es. Justin und ich machen uns noch einmal auf den Weg zur Kante des Nyastølfossen.
Die Kajaks waren auch dabei, aber warum gleich drei? Mehr dazu zu einem späteren Zeitpunkt…
Auf der Weiterfahrt zum nächsten Wanderspot, lag der Næarøyfjord auf dem Weg. Trotz Schulterprobleme konnte Justin nicht widerstehen eine kleine Runde mit dem Kajak zu drehen.
”Hm es muss bestimmt cool sein, unter dem Wasserfall zu stehen.”
Sobald die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, beruhigte sich der Wind und die Wellen schlagartig. Innerhalb von 1 Stunde sank die Beaufortskala von 4 auf 0. Dabei hatten wir uns schon so auf den Surf gefreut.
Der letzte Spot sollte der Dovrefjell Nationalpark sein, wo Justin unbedingt die von ihm liebevoll genannten “Viecher” sehen wollte. Der Nationalpark ist der einzige Ort in Europa, wo man Moschusochsen in freier Wildbahn erleben kann. Moschusochsen haben die Eiszeit überlebt, dementsprechend frisch war es auf der Hochebene.
0:30 Uhr
Trinkwasser direkt aus dem Gebirgsbach, ein Traum.
Beim einzigen Schlechtwettertag unserer Tour packten wir sogar die Regenhosen aus…
…nur um direkt hinter der nächsten Biegung den ersten Moschusochen gegenüberzustehen.
Die eindrucksvollen Tiere präsentierten sich uns direkt in ihrem namensgebenden dicken Fell. (In der Sprache der Inuit heißen die Ochsen Umimmaq = Tier mit Fell wie Bart)
Als wir uns vom Dovrefjell verabschiedeten wurden wir dann noch Zeuge der sinnfreien, geführten Moschusochsen-Safaris, bei denen die wirklich problemlos zu findenden Tiere für eine Menge Geld mit Führer gesucht werden können. Der Tourismus-Wahnsinn hatte uns wieder eingeholt.
Um den Rückweg nicht nur aus Autofahren bestehen zu lassen, haben wir einen Halt in Oslo eingelegt. Mit den Leihfahrrädern für 5€ konnten wir in 3 Stunden eine große Stadtrundfahrt machen und ausgiebig in der Badeanstalt Sørenga plantschen.
Ich dachte immer Wandern, das kann doch nicht funktionieren. Doch nun weiß ich, dass es schon in Ordnung ist. Es ist natürlich nicht so frei wie Seekajakfahren, wo man keinen ausgetrampelten Wegen folgen muss, aber dafür ist die Perspektive eine besondere.